Alkohol (Eierlikör) zu Silvester?!  

First things first: Die Einschätzung der Deutschen Juristischen Gesellschaft für Tierschutzrecht e. V., die am 26.11.2024 veröffentlicht wurde, findest du unten bei den Links. 


Es ist verständlich, dass man auf eine praktikable und möglichst unkomplizierte Lösung hofft, wenn der Hund teils panikartige Angst vor Geräuschen hat. 


Dem Hund Eierlikör zu verabreichen ist jedoch keine derartige Lösung! Es stellt sowohl einen Verstoß gegen das Tierschutzgesetz als auch gegen das Tierarzneimittelgesetz dar – auch wenn im Netz das Gegenteil behauptet wird und diese Tatsache von den Befürwortern der Maßnahme ignoriert bzw. verschwiegen wird. Tatsächlich gibt es aber darüber hinaus auch noch eine ganze Reihe weiterer Gründe, weshalb man beim Hund vom Alkoholeinsatz absehen sollte.  


Die Sachlage ist so vielschichtig, dass ich einen ausführlichen Info-Artikel dazu verfasst habe. Du findest ihn zum Lesen hier oder zum Download bei den kostenlosen Tools.  


Jenseits der trockenen Fakten, die in dem Artikel aufgeführt sind, möchte ich als strikte Gegnerin des Alkoholeinsatzes beim Haustier auch noch ein paar Randaspekte und persönliche Gedanken zu dem Thema aufführen, die meine zugegebener Maßen negativ gefärbte Meinung näher erklären:


Eine tierschutzwidrige Handlung als "Tipp" über die Medien (Internet, Radio, Tagespresse) zu verbreiten entbehrt ja schon in sich jeglicher Berechtigung und ist auch im Hinblick auf die Berufsehre eine höchst zweifelhafte Sache. Ein großes Dilemma ist, dass die Personen, die diesen Tipp in den Medien verbreiten, von den Zuschauern, Lesern oder Hörern als Fachleute angesehen werden. Dies hat zur Folge, dass die Hundehalter oftmals keine eigene Recherche betreiben, um sich eingehender zu informieren. Ein weiterer Kritikpunkt ist, dass der Einsatz einer nicht unbedenklichen Substanz mit pharmakologischer Wirkung "ins Blaue hinein" empfohlen wird, d. h. in der Mehrzahl der Fälle ohne die betroffenen Hunde inkl. deren körperliche Verfassung, Krankengeschichte oder Lebensumstände zu kennen und natürlich genauso wenig die Halter, deren Zuverlässigkeit und deren Umgang mit ihrem Hund etc. 


Die pharmakologische Brisanz des Alkohlkonsums eines Hundes wird obendrein auch durch die gewählten Formulierungen heruntergespielt wenn aufgeführt wird, dass (Zitat) „ein paar Löffelchen Eierlikör“ den Hund in einen wohligen Zustand versetzen können. Das klingt explizit verharmlosend und natürlich zudem außerordentlich verlockend.


Speziell, wenn dann auch noch „Dosierungsangaben“ erwähnt werden, ist es absolut nachvollziehbar, dass man als betroffener Halter geneigt ist anzunehmen, dass es sich um eine ernstzunehmende medizinische Therapieanweisung oder zumindest eine völlig unbedenkliche Therapieoption handelt. Dies wird auch noch durch weitere Angaben unterstrichen, die sich beispielsweise auf der Webseite eines Tierarztes finden lassen. Dort kann man lesen „Der Einsatz von Alkohol beim Hund ist eine vom Arzneimittelrecht völlig unberührte Alternative“. 


Das ist schlicht falsch. Vielleicht soll es auch absichtlich irreführend sein, weil man beim Lesen der Aussage zunächst geneigt ist, zu denken, dass das stimmt – schließlich bezieht sich das Arzneimittelgesetz ja auf Arzneimittel und Alkohol bzw. Eierlikör ist ja keins. Tatsächlich aber sind im Tierarzneimittelgesetz auch Verbote der Anwendung von "Stoffen und Stoffgemischen" aufgeführt. Der Einsatz von Alkohol beim Hund, mit dem Zweck, eine (Geräusch-)Angst zu unterdrücken fällt unter dieses Verbot und ist somit weder eine rechtskonforme Maßnahme, noch eine harmlose Kleinigkeit oder legale persönliche Entscheidung des Halters. Zudem ist es auch keine Maßnahme, die als Alternative zum Einsatz von für die Geräuschangst zugelassenen Tierarzneimitteln überhaupt beworben werden darf.   


Als Halter trägt man für sein Tier Verantwortung. Es ist daher gefordert, mitzudenken. Ein „Geheimtipp“ der in den Medien die Runde macht und der angeblich geeignet sein soll, ein ernstzunehmendes, chronisch und häufig auch progressiv verlaufendes und das Tier (und natürlich auch den Halter) schwer belastendes Problem ganz ohne jede haustierärztliche Kontrolle und therapeutische Unterstützung aus der Welt zu schaffen, in dem man dem Tier eine im Verkauf durch das Jugendschutzgesetz beschränkte Droge gibt, könnte einen im Grunde direkt stutzig werden lassen. Auch fragt man sich: Kann es wirklich sein, dass die meisten Haustierärzte einfach keine Ahnung haben und dem Tierhalter wissentlich eine (für Erwachsene) freiverkäufliche Wunderdroge vorenthalten wollen? Und gilt diese eklatante Unwissenheit auch für die Tierärzte, die sich auf den Fachbereich Verhaltenstherapie spezialisiert haben und die mit dem Problem "Geräuschangst" auf regelmäßiger Basis konfrontiert werden? Oder wie sonst ist die Stellungnahme der Gesellschaft für Tierverhaltensmedizin und -therapie (GTVMT) zu verstehen, die sich ebenfalls ausdrücklich gegen den Einsatz von Alkohol ausspricht? Kurzum: Bereits nach kurzem Nachdenken, sollte sich die Frage aufdrängen, ob der Einsatz von Alkohol beim Hund wirklich eine wohlwollende Maßnahme oder schlicht tierschutzrelevant ist. Spoileralarm: Wir klären das in dem oben erwähnten Artikel.  


Noch etwas anderes: Die Berechnung der so genannten "Dosierungsangaben" ist meist so angesetzt, dass ein Blutalkoholspiegel von ungefähr 0,5 Promille erzeugt wird. Das ist generell für einen Hund schon eine erhebliche Dosis, ich persönlich glaube aber, dass es bei der Anwendung auch gerne mal „ein Schlückchen mehr“ ist. Wieso? Da fallen mir gleich mehrere Gründe ein. Etwa:

  • Weil generell eine Tendenz zu der Denkweise besteht, „wenn etwas gut ist, ist etwas mehr besser“. 
  • Weil Vergiftungen mit Medikamenten aus der menschlichen Hausapotheke oder andere Vergiftungen mit Substanzen, die ebenfalls für Hunde gefährlich sind (beispielsweise Schmerzmittel für Menschen oder Bitterschokolade) leider generell keine Seltenheit sind. 
  • Weil Hunde, die dafür gelobt und gefeiert werden, wenn sie „so brav“ Eierlikör schlabbern, den Eierlikör fortan auf der Liste der Dinge stehen haben, zu denen sie sich gerne auch unerlaubt Zutritt verschaffen (Gläser ausschlecken etc.). Nicht umsonst ist „Stehlen“ ja ein gängiges Problem bei unzureichendem Trainingsstand der Hunde. Dieser Aspekt spielt ebenfalls in das relativ hohe Vergiftungsrisiko mit hinein. Das teils tödlich verlaufende Vergiftungen bei Hunden durchaus vorkommen, wenn sie "Stehlen" oder unbeaufsichtigt ungeeignete Substanzen aufnehmen, ist einerseits wissenschaftlich dokumentiert und andererseits immer wieder einmal trauriger Praxisalltag (z. B. im Fall von mit Xylit gesüßtem Naschzeug, Brotteig oder vergorenem Fallobst im Garten - wobei letzteres natürlich eine Alkoholvergiftung ist).
  • Weil zumindest am Silvesterabend – und dafür wird der Alkoholeinsatz ja hauptsächlich „beworben“ – viele Menschen sich bereits selbst ein Gläschen genehmigt haben (wir kennen alle die an Silvester in die Höhe schießenden Unfallzahlen) und akkurate Dosierungen oder allein die genaue Berechnung der Dosis nicht mehr so gut hinbekommen. 

  • Weil Hundehalter, denen am Silvesterabend „plötzlich“ einfällt, dass sie eine „Anti-Angst“-Sofortmaßnahme für den Hund brauchen, schon an dieser Stelle ein eklatantes und tierschutzwidriges Pflege- und Versorgungsdefizit unter Beweis gestellt haben.

Der letzte Punkt bezieht sich auf den allgemeinen Ansatz, mit der Geräuschangstbelastung des Hundes umzugehen. Geräuschangst ist in der überwiegenden Mehrzahl der Fälle ein Problem, das längst chronisch und dem Halter somit auch längst bekannt ist. Für viele Hunde gilt, dass sie schon jahrelang unter Geräuschangst leiden. Wenn die einzige „Therapie“, die ihnen gegönnt wird, darin besteht, sie am Silvesterabend in einen Vollrausch zu versetzen und der Halter "sehr zufrieden" damit ist, dass der Hund aufgrund einer Alkoholvergiftung, gegen die er gerade ankämpft, so "brav" ist, ist der Halter seinen Halterpflichten schon seit längerer Zeit und leider auch auf ganzer Linie nicht in ausreichendem Maße nachgekommen. Die Beobachtung und nicht zuletzt auch der massive Zuspruch im Netz, den die Maßnahme seit Jahren findet, zeigt, dass die "Ein-Tag-im-Jahr-Therapie" leider keinen Einzelfallcharakter hat. 


Und noch ein anderer Fakt wird gerne ignoriert: Ein starker Multiplikator dieses Tipps (oder gar die Quelle?) scheint ein Hundetrainer zu sein, der nicht nur keinerlei medizinischen Ausbildungshintergrund hat, sondern der in anderen Angelegenheiten auch schon diverse Male wegen Verstößen gegen das Tierschutzrecht in negativer Art aufgefallen ist. Neben anderen tierschutzrelevanten Maßnahmen, die er empfiehlt und anwenden lässt, gehören auch Klapperbüchsen und Wasserpistolen zu seinem Repertoire. Beides sind Hilfsmittel, die im lerntheoretischen Vokabular als so genannte „positive Strafen“ eingesetzt werden. Sie erzeugen Schrecken bzw. Angst. Genauer gesagt, da es sich um geräuschgebundene Hilfsmittel handelt, eine Geräuschangst. Moment! Wofür sollte anschließend noch mal der Alkohol eingesetzt werden? Für die Therapie eines Geräuschangstproblems? Für dessen Entstehung oder Verschlechterung der Halter, sofern er dem Trainingstipp, zu klappern, zu zischen und zu spritzen gefolgt ist, und diese Form der Strafen angewendet hat, anteilig erst selbst gesorgt oder eine bereits bestehende Angst durch die Maßnahme weiter verschlechtert hat? Ein Schelm, der Böses dabei denkt ... Hinsichtlich des Werts des Alkohol-Tipps sollte einen spätestens dies zum Nach- oder Umdenken anregen, wenn es nicht sowieso schon zu einer umfassenden Fassungslosigkeit geführt hat.


Abschließend ist noch folgendes zu sagen: Wenn man als Halter bislang (in den meisten Fällen vermutlich sogar unwissentlich) auf ein falsches Pferd gesetzt hat, ist es nie zu spät die Weichen ab sofort anders zu stellen. Wenn aufgrund der Schwere der Angstbelastung des Hundes angstlösende Medikamente zum Einsatz kommen sollen, ist es sinnvoll, sich rechtzeitig um diese Belange zu kümmern. Um die Therapie bestmöglich gestalten zu können, sind in aller Regel Voruntersuchungen und ggf. auch Vorbehandlungen sinnvoll – und sei es nur, um die ideale Dosis des jeweiligen Medikaments, das zur Anwendung kommen soll, herauszufinden. Dies kostet ein wenig zeitlichen Vorlauf, den man unbedingt mit einplanen sollte.


Aktuelle Neuerung: Im Sommer 2023 wurde ein Tierhalter (meins Wissens erstmalig) rechtsgültig verurteilt, nachdem er seinem Hund Alkohol verabreicht hat. 


Zitat aus der Urteilssprechung: "Auch das Einflößen von alkoholischen Getränken müsse als Zufügung von erheblichen Leiden und Schäden bewertet werden, da es sich bei Alkohol nicht um eine artgerechte Ernährung handele, die aufgrund seiner Wirkung beim Hund zu Vergiftungserscheinungen wie Speichelfluss, Torkeln, Würgen und Erbrechen, Schwäche, Torkeln, erhöhte Herzfrequenz, dann zum Kollaps mit Blutdruckabfall und Untertemperatur und schließlich Koma und Tod führen könnte."    


Ergänzungen zum Weiterlesen

Gesetzliche Grundlage

TierSchG (Deutsches Tierschutzgesetz in der Fassung der Bekanntmachung vom 18. Mai 2006 (BGBl. I S. 1206, 1313), das zuletzt durch Artikel 2 Absatz 20 des Gesetzes vom 20. Dezember 2022 (BGBl. I S. 2752) geändert worden ist)


TAMG (Deutsches Tierarzneimittelgesetz)


Buch: Hirt A, Maisack C, Moritz J, Felde B (2023) TierSchG Kommentar. 4. Auflage. Verlag Franz Vahlen. München


Rechtliche Einordnung der Abgabe von Alkohol an Hunde – Deutsche Juristische Gesellschaft für Tierschutzrecht


Veröffentlichungen 

Blanchard DC, Veniegas R, Elloran I, Blanchard RJ (1993) Alcohol and Anxiety: Effects on Offensive and Defensive Aggression. J Stud Alcohol Suppl. 11:9-19


Blanchard RJ, Magee L, Veniegas R, Blanchard DC (1993) Alcohol and Anxiety: Ethopharmacological Approaches. Prog Neuropsychophamacol Biol Psychiatry 17(2):171-82


Conte R, Vagner Lobo Ladd F, Antunes Barbosa Lobo Ladd A, Lopez Moreira A, Le Sueur-Maluf L, de Barros Viana M, Céspedes I (2019) Behavioral and Stereological Analysis of the Prefrontal Cortex of Rats Submitted to Chronic Alcohol Intake. Behav Brain Res. 362:21-27


Conte R, Zangirolame SMS, Gobbo DR, Pereira L, Panfilio CE, Reginato RD, Maluf LS, Scerni DA, Céspedes IC (2022), Effects of Moderate Alcohol Consumption on Behavior and Neural System of Wistar Rats. An Acad Bras Cienc 94(3):e20210673


Cortinovis C and Caloni F (2016) Household Food Items Toxic to Dogs and Cats. Frontiers. Vet. Sci. 3:26


Eckardt MJ, File SE, Gessa GL, Grant KA, Guerri C, Hoffman PL, Kalant H, Koob GF, Li TK, Tabakoff B. (1998) Effects of moderate alcohol consumption on the central nervous system. Alcohol Clin Exp Res. 22(5):998-1040.


Keno LA and Langston CE (2011) Treatment of Accidental Ethanol Intoxication with Hemodialysis in a Dog. Journal of Veterinary Emergency and Critical Care 21(4), pp 363–368


Rückert C (2021), Gut gemeint? – Vergiftungen mit Lebensmitteln bei Hund und Katze. Thieme. Kleintier konkret 24: 18–24


Giftinfos

https://www.petpoisonhelpline.com/pet-tips/should-dogs-drink-alcohol/


https://www.petpoisonhelpline.com/poison/alcohol/


https://www.vetpharm.uzh.ch/clinitox/klt/toxtklt.htm


Kostenlose Giftübersicht zum Download: https://hundefachwissen.de (Anmeldung Tools)


Silvester-Infos (pdf) der GTVMT 

Meinen ausführlichen Info-Artikel, weshalb die Verabreichung von Eierlikör beim Hund keine geeignete Therapiemaßnahme darstellt, findest du zum Lesen hier oder zum Download bei den kostenlosen Tools.